GESUNDHEITSCAMPUS IMMUNOLOGIE, INFEKTIOLOGIE UND INFLAMMATION

Grippe und Lungenentzündung: Verhängnisvolles Wechselspiel mit vielen Variationen

Doppel-Infektion macht Erreger aggressiver

Das Bakterium Streptococcus pneumoniae, ein verbreiteter Auslöser von Lungenentzündungen, ist für Grippe-Patienten noch deutlich gefährlicher als für Gesunde. Nach einer „Doppel-Infektion“ mit Grippeviren und S. pneumoniae verläuft die Erkrankung stets besonders schwer, oft sogar tödlich. Dabei variieren die Abwehrreaktionen des Körpers auf das Bakterium sehr stark, je nach Bakterien-Stamm werden unterschiedliche Immunzellen und Botenstoffe aktiv: Das stellten Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und der Otto-von-Guericke Universität (OVGU) Magdeburg gemeinsam mit Partnern in Schweden und Berlin bei Versuchen mit Mäusen fest. Ihre Erkenntnisse könnten die Möglichkeit eröffnen, Mehrfach-Infektionen dieser Art künftig zielgerichteter zu behandeln. In der Fachzeitschrift Infection & Immunity beschreiben die Forscher ihre Ergebnisse.

Lungenschnitt

Lungenschnitt nach Ko-Infektion durch Influenza A-Viren und Pneumokokken:
Das Lungengewebe wurde 18 Stunden nach der sekundären Infektion mit dem Bakterium S. pneumoniae präpariert. Sieben Tage zuvor war die Erstinfektion mit dem Influenza A-Virus erfolgt. Die Färbung mit den Farbstoffen Hämatoxylin und Eosin zeigt die ausgeprägte Entzündungsreaktion. Die entzündeten Areale der Lunge mit vielen eingewanderten Immunzellen sind als dunkle Verfärbungen zu erkennen.

Der Grippe-Erreger, das Influenza A-Virus, löst in unregelmäßigen Abständen immer wieder weltweite Erkrankungswellen aus, die man als „Pandemien“ bezeichnet. Die Folgen können verheerend sein: Bei der Grippe-Pandemie der Jahre 1918/19 etwa kamen Schätzungen zufolge zwischen 50 und 100 Millionen Menschen ums Leben.

In vielen dieser Fälle war die Todesursache nicht das Grippevirus allein. „Man hat bei der nachträglichen Untersuchung von klinischem Material festgestellt, dass sich ein großer Anteil der Patienten zusätzlich mit Bakterien infiziert hatte“, sagt Prof. Dunja Bruder, Leiterin der Arbeitsgruppe „Immunregulation“ am HZI und Professorin für Infektionsimmunologie an der OVGU in Magdeburg. „Oft war es diese zweite, bakterielle Infektion, die zum Tod geführt hat.“ Während Viren aus vergleichsweise wenigen Molekül-Bausteinen bestehen und sich nur innerhalb von Wirtszellen vermehren können, sind Bakterien einzellige, selbstständig wachsende Lebewesen.

Zu den gefährlichen Bakterien, die eine durch Grippe-Viren geschwächte Lunge befallen können, zählt S. pneumoniae. Bakterien dieser Art werden auch „Pneumokokken“ genannt. Sie lösen mitunter lebensbedrohliche Lungenentzündungen (Pneumonien) aus. „Es gibt fast 100 verschiedene Serotypen von S. pneumoniae“, erklärt die HZI-Wissenschaftlerin Dr. Sabine Stegemann-Koniszewski. „Das Spektrum reicht von harmlosen Stämmen, die den Nasen-Rachen-Raum besiedeln und kaum Symptome hervorrufen, bis zu so genannten hoch invasiven Varianten, die in das Lungengewebe eindringen und dort schwere Erkrankungen auslösen können.“

Gemeinsam mit Forschungspartnern am Karolinska-Institut in Stockholm und der FU Berlin stellte sich das Team um die HZI-Wissenschaftlerinnen Bruder und Stegemann-Koniszewski die Frage: Wie verhalten sich Pneumokokken-Stämme mit unterschiedlichen Ausbreitungseigenschaften, wenn sie auf einen bereits von Influenza-Viren infizierten Organismus treffen? Solche so genannten Ko-Infektionen oder Superinfektionen mit Influenza A und S. pneumoniae erforschten sie an Mäusen.
Es zeigte sich: Alle untersuchten Stämme des Bakteriums verhielten sich deutlich aggressiver, wenn sich im Wirt bereits kurz zuvor Grippeviren eingenistet hatten – auch ansonsten harmlosere Serotypen wurden dann zu tödlichen Killern. „Offenbar ist nach einer Grippeinfektion auch die körpereigene Abwehr gegen Bakterien geschwächt“, sagt Dunja Bruder. „Dieser Effekt ist weitgehend unabhängig vom Pneumokokken-Stamm.“ Lag die Grippe-Infektion jedoch schon länger zurück, waren es vor allem die hoch invasiven Pneumokokken-Stämme, die noch Probleme machten.
Große Unterschiede stellte man bei der Art der Entzündungs-Reaktionen fest, die das Immunsystem der Mäuse zur Abwehr der Erreger einleitete. „Wir fanden – je nach Pneumokokken-Stamm – unterschiedliche Konzentrationen verschiedener Botenstoffe, eine unterschiedliche Verteilung der wichtigsten Typen von Immunzellen in der Lunge und auch unterschiedliche Wege der Ausbreitung der Bakterien im Körper“, sagt Niharika Sharma-Chawla, die Erstautorin der Studie. So stieg etwa bei Ko-Infektionen mit bestimmten S. pneumoniae-Stämmen die Zahl der Neutrophilen in der Lunge – eines spezialisierten Immunzell-Typs, der unter anderem Bakterien bekämpft, aber auch das körpereigene Gewebe angreifen kann. Bei einem Stamm namens „19F“ nahm die Zahl der Neutrophilen nach einer Ko-Infektion dagegen ab.
Dies könnte für die Behandlung von Pneumokokken-Superinfektionen bei künftigen Grippewellen von Bedeutung sein: „Es ist häufig nicht ausreichend, Medikamente gegen die Influenza-Viren und die Bakterien zu kombinieren“, erklärt Dunja Bruder. „Man benötigt zusätzlich immunmodulierende Therapien. Sie verhindern, dass die Entzündungsreaktionen zu heftig ausfallen und dadurch den eigenen Körper schädigen. Gerade bei den untersuchten Ko-Infektionen stellen solche überschießenden Immunreaktionen eine erhebliche Gefährdung dar.“ Diese entzündungshemmenden Medikamente – so die Hoffnung der Wissenschaftlerinnen – könnte man in Zukunft zielgerichteter auswählen, wenn man sie auf den jeweils vorliegenden Bakterientyp abstimmt. „Dazu müssen die klinisch relevanten Pneumokokken-Stämme und ihr Verhalten bei einer Ko-Infektion mit Influenza allerdings noch wesentlich genauer charakterisiert werden“, sagt Bruder.

Quelle: Pressemitteilung HZI

Originalpublikation:
Niharika Sharma-Chawla, Vicky Sender, Olivia Kershaw, Achim D. Gruber, Julia Volckmar, Birgitta Henriques-Normark, Sabine Stegemann-Koniszewski, Dunja Bruder. Influenza A virus infection predisposes hosts to secondary infection with different Streptococcus pneumoniae serotypes with similar outcome but serotype-specific manifestation. Infection & Immunity, 2016. doi:10.1128/IAI.00422-16.

Letzte Änderung: 01.06.2017 - Ansprechpartner:

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